Weiter zum Inhalt

Rechtsgutachten: Veröffentlichung von Kinderfotos und Kindervideos auf Social-Media-Plattformen kann Kindeswohlgefährdung sein

Ob vermeintlich niedliches Schlafen, beim Essen, mitfühlendes Leiden bei Fieber oder die neue coole Hose: das Posten von Kinderfotos auf kommerziellen Social-Media-Kanälen kann die ab­gebil­deten Kinder ernsthaft gefährden. Das erste Mal sprechen Jurist*innen in diesem Zusammen­hang jetzt vom Tatbestand der Kindeswohlgefährdung.

Influencer:innen, die Bilder oder Videos ihrer Kinder auf Social-Media-Plattformen veröffentlichen, bewegen sich häufig im Bereich der Kindeswohlgefährdung. Das belegt ein Rechtsgutachten im Auftrag von Campact und des Deutschen Kinderhilfswerkes. Der Gesetz­geber muss deshalb die kommerzielle Veröffent­lichung von Kinderfotos und Kindervideos im Internet bis zum vollendeten siebten Lebensjahr eines Kindes uneingeschränkt verbieten. Erst danach sollte die Veröffent­lichung überhaupt möglich sein – mit der Einwilligung der abgebildeten Kinder. Angesichts der wirtschaftlichen Eigeninteressen der Eltern können Gerichte in Einzelfällen Ergänzungspfleger zur Vertretung der Kinder bestimmen.

Nach Ansicht der Gutachter:innen braucht es ein altersabgestuftes Schutzkonzept. Zwar gibt es bereits Gesetze zum Kinderschutz, doch im Fall von "Family-Influencing" greifen sie nur un­zu­reichend. Darum muss der Schutz der "digitalen Persönlichkeit des Kindes" – wie die Autor:innen es nennen – konkretisiert und vor allem anwendbar gemacht werden. Zudem sollten die Jugend­ämter sowie die Landesmedienanstalten in die Überwachung der Vorgaben eingebunden werden.

Dr. Astrid Deilmann, geschäftsführende Vorständin bei Campact e.V., sagt: "Die schamlose Zurschaustellung der eigenen Kinder, um Reichweite und letztendlich Werbedeals zu sichern, kann kindeswohlgefährdend sein. Das Rechtsgutachten belegt dies klar und sollte die künftige Bundesregierung zum Handeln aufrufen: Wir brauchen Gesetze, um die Privatsphäre der Kinder zu schützen. Besonders wenn Kinder zu Werbefiguren stilisiert und in den sozialen Medien in allen Lebenslagen inszeniert und instrumentalisiert werden, verletzt das ihr Recht auf informelle Selbst­darstellung und greift massiv in ihr Persönlichkeitsrecht ein. Gemeinsam mit unserer WeAct-Petentin Sara Flieder und dem Deutschen Kinderhilfswerk werden wir das Gutachten nutzen, um diese klaffende Lücke im Kinderschutz durch den Gesetzgeber zu schließen."

Anne Lütkes, Vizepräsidentin des Deutschen Kinderhilfswerkes, betont: "Bei zahlreichen Social-Media-Accounts verschwimmen die Grenzen zwischen kreativer Freizeitbeschäftigung und Arbeit von Minderjährigen einerseits, zwischen Werbung und nicht-kommerziellen Inhalten andererseits. Dabei entsteht an vielen Stellen ein erheblicher Interessenkonflikt: Das wirtschaftliche Interesse der Eltern steht oft im Widerspruch zu den Rechten der Kinder – dem Recht auf Schutz der Privatsphäre und auf freie Persönlichkeitsentfaltung. Wenn Kinder im Wettlauf um Reichweiten monetarisiert und instrumentalisiert werden, dann ist das Kindeswohl in Gefahr. Das vorliegende Rechtsgutachten leistet hier einen wichtigen Beitrag, Schutzlücken im Kontext von Kindes­wohl­gefährdungen aufzudecken und eben diese Lücken mit einem konkreten Praxiskonzept zu schließen."

Sara Flieder, Kinderrechtsexpertin und Initiatorin der WeAct-Petition "Kinderrechte auf Instagram wahren" stellt fest: "Vor zwei Jahren habe ich per WeAct-Petition gefordert, die kindliche Privat­sphäre auf kommerziellen Social Media Accounts zu schützen. Ich konnte über 55.000 Unter­schriften sammeln, aber politisch veränderte sich nichts. Heute sehe ich mich mit dem Rechts­gutachten bestätigt: Kinder haben Rechte und die werden durch Family-Influencing auf vielfache Weise verletzt. Und dabei geht es nicht mal um die schlimmen Fälle, in denen Kinder vor laufender Kamera gedemütigt werden. Schlafen, das Kranksein, die intimen Momente beim Kuscheln - das reicht aus, um die Privatsphäre der Kinder irreparabel zu schädigen. Das Internet vergisst nichts und die Influencer*innen haben keine Kontrolle über diese Bilder. Wir brauchen eine Verschärfung der Gesetze, um unsere Kinder zu schützen."

Das Rechtsgutachten "Kindes­wohl­gefährdung durch kommerzielle Veröffentlichung von Kinderfotos und -videos im Internet" ist auf der Website des DKHW veröffentlicht.

Quelle: Deutsches Kinderhilfswerk, 17.12.2024, www.dkhw.de