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Neue Studie belegt: Vor dem Familiengericht sind nicht alle gleich

Erstmals weist eine Studie eine vorur­teils­geleitete Grund­an­nahme gegen­über Müttern in Familien­gerich­ten und Jugend­ämtern nach. Diese führt zu fehlendem oder un­zu­reichen­dem Schutz vor Gewalt für Kinder und Mütter, Betroffene verlieren dadurch ihre Stimme vor Gericht. Das verletzt den grund­gesetz­lich garan­tierten Gleich­heits­grundsatz und nimmt Betroffenen die Chance auf ein faires Verfahren. Die neue Studie des Hamburger Soziologen Wolfgang Hammer ist ein Follow-Up seiner 2022 publizierten Studie "Familienrecht in Deutschland".

Unter dem Titel "Macht und Kontrolle in familienrechtlichen Verfahren. Eine Analyse medialer Falldokumentationen" werten Hammer und sein Team 154 familienrechtliche Fälle aus, die lokale, regionale und bundesweite Medien unabhängig voneinander recherchiert haben. Darunter sind 49 Investigativrecherchen. Die Analyse basiert auf 269 Quellen. Sie inkludieren 19 Tötungsfälle von Müttern und Kindern, die im Zusammenhang mit Sorge- und Umgangsrechtsverfahren stehen – ein Anteil von 12 Prozent der analysierten Fälle, bei denen familienrechtliche Verfahren für Frauen oder/und Kinder mit dem Tode endeten.

Befund: Ideologie gefährdet Frauen und Kinder
Die Analyse der deutschlandweit von Medien recherchierten Fälle dokumentiert in der Gesamtschau erstmals klar, dass bundesweit in Jugendämtern und Familiengerichten eine vorurteilsgeleitete Grundannahme gegenüber Müttern verwendet wird. Die Studienautoren benennen das Phänomen als PAS-Vorannahme (vgl. Info-Box). Ihre Wirkweise in Verfahren macht nach Einschätzung der Studienautoren die Rechte von Müttern und Kindern unsichtbar.

Das PAS-Konzept wird z.B. unter Begriffen wie Bindungsintoleranz, Bindungsfürsorge oder Entfremdung in etlichen Familiengerichten und Jugendämtern unhinterfragt angewandt. Die Studie zeigt, dass in der Praxis dadurch Kinder und Mütter als Gewaltopfer kein Gehör finden. Durch die PAS-Vorannahme erleben Mütter und Kinder statt Schutz eine Fortsetzung des Macht- und Kontrollverhaltens von Vätern durch die Institutionen, die sie eigentlich schützen müssen. Die Studie arbeitet außerdem heraus, dass die in Verfahren von Jugend­ämtern und Familiengerichten involvierten Fachleute nicht oder nur eingeschränkt über wissenschaftsbasierte Fachkenntnisse verfügen oder diese nicht anwenden. Stattdessen greifen sie auf pseudowissenschaftliche Deutungs-Schablonen wie das PAS-Konzept zurück. Dadurch hat sich an etlichen Familiengerichten in Deutschland ein ideologiebasiertes Schema in familiengerichtlichen Verfahren etabliert, das den gesetzlichen Auftrag zur Sachaufklärung missachtet und Frauen und Kinder gefährdet.

So werden in 147 der 154 analysierten Fälle unwissenschaftliche Begriffe wie "Bindungsintoleranz", "Entfremdung", "Mutter-Kind-Symbiose" oder behauptete (widerlegte) "psychische Störungen der Mutter" vom Familiengericht zur Begründung von Inobhutnahmen, Heimunterbringungen, Umplatzierungen oder von Zwangsvollstreckungen unter Gewaltanwendung gegen Kinder, Zwangswechselmodellen und Umgängen unter Zwang von altersgerecht entwickelten, sozial gut integrierten und gesunden Kindern herangezogen.

Bundesweites Muster: Systematische Täter-Opfer-Umkehr
Die analysierten Falldokumentationen decken ein Muster auf, das bisher in den "Black Boxen" Jugendämter und Familiengerichte verborgen blieb, da diese Verfahren nichtöffentlich sind. Dem in der Studie herausgearbeiteten Muster liegt eine systematische Täter-Opfer-Umkehr durch Jugendämter und in Familiengerichten zugrunde. Sobald die PAS-Vorannahme in familienrechtlichen Verfahren angewandt wird, besteht für Kinder und Mütter kaum eine Chance, dieser Deutungs-Schablone zu entkommen. "Das stellt eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes zulasten von Frauen und damit auch den Kindern dar", urteilt Studienautor Wolfgang Hammer.

Weitere Befunde
Die vorgelegte Studie bestätigt den Erstbefund von Kartellbildungen an Familiengerichten aus der ersten Studie von 2022: Aus dem analysierten Material ergibt sich, dass sich an Familiengerichten teils feste Kartelle aus Richtern, Verfahrensbeiständen und Gutachtern etabliert haben, die dauerhaft und folgenschwer zusammenarbeiten.

Die Studie dokumentiert darüber hinaus, wie gewissenhaft und aufwändig deutsche Medien – von der Lokalzeitung bis zu bundesweiten Medien – ihrer Verantwortung als vierter Gewalt nachkommen und gerecht werden. Umso erstaunlicher ist es, dass die breite Berichterstattung bisher zu keiner Veränderung in der Bewertung der Problemlage seitens der Politik geführt hat.

Dokumentationen des Grauens
Die analysierten Medienberichte sind "Dokumentationen des Grauens", sagt Studienautor Wolfgang Hammer. Sie zeigen jedoch nur die Spitze des Eisbergs, denn Medien berichten über Familienrechtsfälle meist auf Initiative von Betroffenen – die sich jedoch aus Angst vor negativen Folgen im Familiengericht meist nicht an Medien wenden. Die Medienrecherchen geben einen Einblick in die Lebensrealitäten Betroffener und ermöglichen eine humanistische Perspektive auf die familienrechtliche Entwicklung. Diese Entwicklung steht national und international in Wissenschaft, Politik und Praxis seit Jahren vermehrt und deutlich in der Kritik.

Die analysierte Berichterstattung zu Strafprozessen, die Investigativrecherchen sowie die sich zeigenden Muster in den Medienberichten über Familienrechtsfälle stellen ein Zeugnis über den Verbreitungsgrad des Geschehens an Jugendämtern und Familiengerichten dar und machen sichtbar, was bisher von der Politik nicht gesehen wird: "Praktiken geschlechtsspezifischer Gewalt und Marginalisierung der Mutter-Kind-Bindung sind an der Tagesordnung", fasst Studienautor Wolfgang Hammer die Ergebnisse zusammen. Seine Einschätzung fällt deutlich aus: "Aufgrund von Einstellungen, Meinungen und ideologischer Zielrichtungen wird systematisch und inzwischen auch systemisch Machtmissbrauch betrieben. Systeme, in denen Unrecht geschieht, wachsen zunächst im Verborgenen. Wenn Legislative, Exekutive und Judikative es zulassen, dass rechtsstaatliche Grundsätze infrage gestellt, und Gewaltformen an Kindern und Müttern juristisch legitimiert werden, dann versagt der Staat in seinem Schutzauftrag, der Rechtsstaat erodiert."

Hammer fordert daher eine sofortige Untersuchung und gründliche Aufarbeitung der Lage durch die Politik: "Das ist unabdingbar und unerlässlich vor einer Reform des Kindschafts­rechts." Er mahnt: "Die bestehende Praxis in Familiengerichten und Jugendämtern gefährdet das Vertrauen in unsere rechtsstaatlichen, demokratischen Institutionen nicht nur heutiger Erwachsener, sondern auch der heranwachsenden Generationen. Sie gefährdet konkret Kinder und Mütter – und im Großen den Bestand unserer Demokratie."

Begriffsklärung PAS
Das "Parental Alienation Syndrome" (PAS) ist ein unwissenschaftliches Konzept, das betreuenden Elternteilen nach einer Trennung – meist Müttern – unterstellt, aus egoistischen Motiven dem anderen Elternteil den Kontakt zu den gemeinsamen Kindern einzuschränken oder ihn zu verwehren und dadurch die Kinder zu gefährden. Gemäß der Logik dieses Konzepts würden Verweise auf psychische oder physische Gewalt nur vorgetragen, um den anderen Elternteil aus dem Umgangs- und Sorgerecht herauszuhalten – eine Annahme, die sowohl einer wissenschaftlich evidenten Grundlage entbehrt als auch mit statistischen Daten und Forschungsergebnissen zur Häufigkeit von häuslicher Gewalt und sexualisierter Gewalt gegen Kinder nicht korreliert.

Wolfgang Hammer:
Macht und Kontrolle in familienrechtlichen Verfahren. Eine Analyse medialer Falldokumentationen
2024
131 Seiten
Kostenloser Download unter www.familienrecht-in-deutschland.de/die-studie


Quelle: Pressemitteilung Dr. Wolfgang Hammer, 19.11.2024