Vom 10. bis 17. Oktober 2023 kamen zum achten Mal die Vertragsstaaten des Haager Kindesentführungsübereinkommens von 1980 (HKÜ) sowie des Haager Kinderschutzübereinkommens von 1996 (KSÜ) in Den Haag zusammen und haben neue Arbeitshilfen für die gerichtliche und behördliche Praxis vereinbart.
Die auf Einladung des Generalsekretärs der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht einberufene Spezial-kommission mit über 450 Teilnehmenden diente der Überprüfung der praktischen Durchführung der beiden Rechtsinstrumente. Die Delegierten tauschten sich insbesondere über die praktischen Erfahrungen bei grenzüberschreitenden Kindesentführungs- sowie Kinderschutzfällen sowie die Zusammenarbeit der in den Vertragsstaaten eingerichteten Zentralen Behörden aus. Die Spezialkommission stellte fest, dass sich die Regelungen in der Rechtspraxis insgesamt gut bewährt haben.
Bearbeitung von Anträgen auf Rückführung entführter Kinder im Fokus
Besonders im Fokus standen Fragen, die sich auf die zügige und wirksame Bearbeitung von Anträgen auf Rückführung entführter Kinder sowie der Vollstreckung von Rückgabeanordnungen beziehen, einschließlich Ausnahmen, z. B. im Falle häuslicher Gewalt. Im Ergebnis wurden u. a. die Erarbeitung neuer Arbeitshilfen für die gerichtliche und behördliche Praxis vereinbart und zusammen mit dem Arbeitsprogramm für die nächsten Jahre umfangreiche Schlussfolgerungen und Empfehlungen verabschiedet (Conclusions & Recommendations).
Das BfJ nutzte die Gelegenheit, um am Rande der Spezialkommission bilaterale Gespräche mit Partnerstaaten zu führen und sich mit diesen Staaten über praktische Fragestellungen der Zusammenarbeit auszutauschen. Gleichzeitig erfolgte auch ein Austausch aller EU-Mitgliedstaaten mit der Ukraine zur rechtlichen Situation der geflüchteten Kinder in der EU.
Bundesamt für Justiz zentrale Behörde in Deutschland
Das Haager Kindesentführungsübereinkommen zählt mittlerweile über 100 Vertragsstaaten, das Haager Kinderschutzübereinkommen 54. Für Deutschland ist das HKÜ seit 1990 und das KSÜ seit 2011 in Kraft. Deutsche Zentrale Behörde nach beiden Rechtsinstrumenten ist das BfJ. Wird ein Kind durch einen Elternteil widerrechtlich in einen anderen Vertragsstaat entzogen oder dort zurückgehalten, so kann der zurückgelassene Elternteil sich mit dem Antrag an das BfJ wenden, ihn bei der Rückführung des Kindes zu unterstützten. Umgekehrt gilt das BfJ als bevollmächtigt, für Antragstellende aus anderen Vertragsstaaten in Deutschland gerichtlich und außergerichtlich tätig zu werden. Daneben können Kinderschutzbehörden, wie z. B. deutsche Jugendämter sich an das BfJ wenden, wenn der Verdacht besteht, dass sich ein Kind im Ausland in Gefahr befindet bzw. von dort Informationen grenzüberschreitend eingeholt werden müssen. Wichtige Partnerstaaten für Deutschland sind u. a. Polen, USA, die Türkei und die Ukraine.
Im Jahr 2022 verzeichnete das Bundesamt für Justiz insgesamt 187 Vorgänge betreffend Kindesentziehungen aus Deutschland ins Ausland nach dem HKÜ. Die zahlenmäßig bedeutendsten Länder waren dabei Türkei, Rumänien und Polen. Hinsichtlich der Fallzahlen wird darauf hingewiesen, dass das BfJ als deutsche Zentrale Behörde beratend und unterstützend tätig werden kann, die Einschaltung der Zentralen Behörden aber im Rahmen des HKÜ nicht zwingend vorgeschrieben ist. Es können daher keine Gesamtzahlen zu grenzüberscheitenden Kindesentziehungen benannt werden. Erfasst werden hier auch nur Kindesentziehungen zwischen Vertragsstaaten des HKÜ, nicht im Verhältnis zu Nicht-Vertragsstaaten. Zudem handelt es sich bei dem HKÜ um ein rein zivilrechtliches Übereinkommen. Nicht umfasst sind daher strafrechtliche Aspekte einer Kindesentziehung, insbesondere im Rahmen des § 235 StGB.